Lucia Travaini: Monete Mercanti e Matematica. Le monete medievali nei trattati di aritmetica e nei libri di mercatura […], dans: Geldgeschichtliche Nachrichten 39 (2004) 220, p. 253.
Critique
Das Wort „Zahl“ leite sich vom Begriff „Münze“ ab (Numero nummus nomen dedit), so meinte jedenfalls Bischof Isidor von Sevilla († 636) im dritten Buch seiner Etymologiae, dem „Brockhaus“ des Mittelalters, der das gesamte zu jener Zeit bekannte Wissen zu systematisieren und zu analysieren suchte. Diese Aussage Isidors stellt die italienische Numismatikerin Lucia Travaini ihrem jüngsten Buch voran. Das Zitat verweist damit gleich zu Anfang der Ausführungen auf eine zentrale Feststellung Travainis: „Die Geschichte der Mathematik ist eng verknüpft mit der Geschichte des Geldes“ (S. 60). Die nahe Verbindung wird nicht zuletzt an den arithmetischen Lehrbüchern des Mittelalters deutlich, die häufig mathematische Probleme erörterten, die in Zusammenhang mit dem Edelmetallgehalt und dem Gewicht von zeitgenössischen Münzen standen. Ähnliche Aufgaben fanden sich auch in den Kaufmannshandbüchern jener Zeit.
Lucia Travaini hat aus vier Arithmetikbüchern und acht Kaufmannshandbüchern die darin enthaltenen Münzlisten zusammengestellt (S. 83-193). Zum Teil beruhen diese Listen auf früheren Editionen wie etwa der bekannten Pratica della mercatura des Florentiner Kaufmanns Francesco Pegolotti, die 1936 von Allan Evans herausgegeben wurde. Fünf der Texte sind jedoch eigens für dieses Buch transkribiert und die entsprechenden Seiten der Manuskripte auf den Tafeln abgebildet worden. Zu allen Listen gibt es einleitende Hinweise über Entstehungszeit, Überlieferung und inhaltliche Besonderheiten.
Diesem Hauptteil des Buches sind ausführliche einleitende Bemerkungen vorangestellt (S. 17-81). Zunächst gibt Lucia Travaini einen Überblick über die Münzprägung in Italien vom 5. bis zum 15. Jahrhundert und schließt daran umfassendere Ausführungen über die Prägestätten und deren Abteilungen (Offizine) an. So ist es wichtig festzustellen, daß Kaufleute vielfach die Belieferung der Münzstätten mit Edelmetall übernahmen. In Pegolottis Pratica etwa finden sich daher Angaben über die Bedingungen für die Produktion von agontani grossi in der Münze von Ancona. Neben den unterschiedlichen Materialkosten fielen dabei vor allem die Löhne des Gießers (fonditore) und des Probierers (saggiatore) mit 50 bzw. 60 Gulden pro Jahr ins Gewicht (S. 23f.). Auch die Frage der Nachprägungen und Fälschungen stellte in den mittelalterlichen Handbüchern ein Problem dar, auf das Travaini kurz eingeht. Wichtiger ist jedoch die Ikonographie der Münzen, die heute nicht selten zur Erklärung der Münznamen genutzt werden kann, die in den Büchern auftreten. Ein bekanntes Beispiel sind etwa die Fiorini, die ihren Namen von der Blume (fiore) des Florentiner Stadtwappens erhalten haben (S. 37). Dem zeitgenössischen Kaufmann kamen jedoch Kenntnisse über den Geldumlauf und ‑gebrauch eher zugute als genaues Wissen um ikonographische Zusammenhänge. So mußten sie für größere Geschäfte vor allem mit dem Wechsel vertraut sein. Auch bei diesem Buchgeld, das in den Quellen als moneta immaginata bezeichnet wird, war die Kenntnis des Münzgeldes unentbehrlich, um beim Einlösen des Wechsels in reales Geld keinen Verlust zu machen. Darüber hinaus mußte auf die Gewohnheiten an den jeweiligen Wechselplätzen Rücksicht genommen werden. Im Bargeldverkehr wurden größere Anzahlen von Gulden in versiegelten Beuteln transportiert. In allen Fällen galt es außerdem, das jeweils gültige Nominalsystem zu berücksichtigen.
Bei der Untersuchung dieser zahlreichen Informationen zum Umgang mit Geld, die den spätmittelalterlichen Kaufleuten bekannt sein mußten, gibt es gelegentlich Überraschungen. So konnte Philip Grierson schon 1957 zeigen, daß die Informationen über Geldsorten, die Pegolotti anführte, nur bis in die Zeit um 1290 reichten und nicht bis 1340, als der Text vollendet wurde. Lucia Travaini weist darauf hin, daß die meisten Geldangaben in den Texten veraltet sind und stellt daher die wichtige Frage, an welchen Leserkreis sich die Handbücher richteten. Sie meint, daß die Arithmetikbücher vor allem für die auszubildenden Kaufleute vorgesehen waren, während die Kaufmannshandbücher von Kaufleuten für Kaufleute geschrieben worden seien (S. 72f.). Eine vollkommen befriedigende Lösung der Frage steht jedoch weiterhin aus.
Sämtliche Münzsorten, die in den Textauszügen genannt sind, lassen sich über ein alphabetisch angeordnetes Glossar leicht auffinden (S. 235-313). Travaini hat sämtlichen Begriffen sind die Feingehaltsangaben aus den jeweiligen Arithmetik- und Kaufmannsbüchern zugeordnet. Zusätzlich sind die Sorten häufig mit Erläuterungen und weiterführenden Literaturangaben versehen, die gewöhnlich den neuesten Stand der Forschung wiedergeben.
Lucia Travaini hat mit ihrem neuen Buch eindrucksvoll verdeutlicht, wie wichtig die Berücksichtigung von kaufmännischem Schriftgut für die numismatische Forschung ist. Denn durch diese Schriftquellen ergeben sich Einblicke u.a. in den Geldumlauf, die Verwendung der Münzen und das Rechnen mit den unterschiedlichen Sorten, die aus den Münzen selbst, den Münzfunden und den spezifischen numismatischen Schriftquellen (wie etwa Abrechnungen der Münzstätten) kaum oder gar nicht erschlossen werden können.
Hendrik Mäkeler