Fabian Wittreck: Geld als Instrument der Gerechtigkeit. Die Geldrechtslehre des hl. Thomas von Aquin in ihrem interkulturellen Kontext (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft, N.F. 100) […], in: Geldgeschichtliche Nachrichten 38 (2003) 215, pp. 264sq.
Review
Per denarium intelligitur vita aeterna – Daß man durch die Münze zum Verständnis des Ewigen Lebens gelangen könne, hat Thomas von Aquin (1224/25–1274) um 1270 in Paris im Rahmen seiner Vorlesung über das Matthäus-Evangelium festgehalten (Zitat S. 498). In geldgeschichtlicher Hinsicht ist der Aquinate jedoch vor allem als Vertreter der Ansicht bekannt, daß die Münzprägung und der Gewinn daraus im Besitz des Königs liege.[1] Im Gegensatz dazu formulierten um 1350 Johannes Buridan und Nicolas Oresme vor dem Eindruck der Geldabwertungen im Verlauf des Hundertjährigen Krieges die These, daß das Geld Besitz der (durch die Generalstände vertretenen) Gemeinschaft sei.
Fabian Wittreck unternimmt in seiner Würzburger juristischen Dissertation die Aufgabe, das Geldverständnis Aquins darzustellen. Dies geschieht u.a. auf der Grundlage einer Stichwortabfrage der Werke Aquins, die vollständig auf CD-ROM zugänglich sind. Dem Verfasser ist es dabei insbesondere um die geldrechtlichen Aussagen des Aquinaten zu tun; aber auch dessen „beobachtende Beschreibung des Geldwesens“ soll gebührende Beachtung finden (S. 25ff.). In fünf Teilen geht Wittreck (1.) der Vita Aquins, dessen philosophischen Grundpositionen und der „Geldwirklichkeit des 13. Jahrhunderts“ nach; einer Zeit, die von der sogenannten „kommerziellen Revolution“ geprägt war („Thomas von Aquin und die hochmittelalterliche Geldwirklichkeit“, S. 43-164). Da die Vorstellung des Aquinaten vom Geld wesentlich auf den Äußerungen des Aristoteles in dessen Nikomachischer Ethik und der Politik beruht, wird der Leser daraufhin (2.) mit der aristotelischen Geldlehre, deren realem Rahmen und ihrer Rezeption im 13. Jahrhundert vertraut gemacht, wobei insbesondere Albertus Magnus (um 1200–1280), der Kölner Lehrer Aquins, von Bedeutung ist („Die Grundlegung der Geldlehre durch Aristoteles“, S. 165-314). Im sogenannten Kölner Münzstreit zwischen der Stadt und Erzbischof Konrad von Hochstaden wegen dessen massenhafter Ausprägung von minderwertigen Münzen seit 1252 fungierte Albertus als Schiedsrichter und konnte dabei sogar, wie Wittreck zeigt, die in seinem Ethikkommentar geforderte Beständigkeit und Sicherheit des Geldes auch in der Praxis vertreten. Der Hauptteil des Buches (3.) ist den Kommentaren Thomas von Aquins zur Nikomachischen Ethik und zur Politik, dem Geldbegriff, der Geldhoheit, Geldtheologie sowie der Analyse des Zinsverbotes und der strafrechtlichen Behandlung des Geldes gewidmet („Die Naturrechtsordnung des Geldes nach Thomas von Aquin“, S. 315-503). Zentrale Punkte der Geldlehre des Aquinaten sind dabei (a) die Maßfunktion des Geldes, (b) dessen Gebrauch als Tausch- und Zahlungsmittel, (c) die Wertspeicherung zur Deckung künftiger Bedürfnisse, deren Beurteilung insbesondere für die zur Armut verpflichteten Bettelorden von hoher Bedeutung war, (d) die Frage des Geldwertes und der Geldwertstabilität, (e) die Bindung des Geldes an das Gesetz (denarius non est mensura per naturam, sed nomo, id est lege; S. 331) und (f) das Problem der Geldhoheit. Die Darstellung ist allerdings in diesem Teil dadurch etwas unübersichtlich, daß der Verfasser die Geldtheorie Aquins teils thematisch, teils nach Werken (Ethik- und Politikkommentar) angeordnet behandelt, wodurch einzelne Aspekte bzw. Werke jeweils an verschiedenen Stellen zu finden sind. Besonders interessant scheint dem Rez. die Feststellung Wittrecks, daß Aquin mehrfach Beispiele aus dem Geldbereich benutzt, um dogmatische Zusammenhänge zu erklären („Geldtheologie: Geld als Metapher für Recht und Macht“, S. 434-441). Dies stellt eine aufschlußreiche Parallele zu dem Aufkommen modernen naturwissenschaftlichen Denkens in den Werken der Scholastiker dar, das Joel Kaye vor dem Hintergrund von deren Erfahrungen in einer monetarisierten Gesellschaft erklärt hat.[2] Im vierten Teil seiner Dissertation stellt Wittreck mit Michael von Ephesos, Ibn Rushd (Averroes) und Moshe ben Maimon (Moses Maimonides) Vertreter byzantinischer, islamischer und jüdischer Geldlehren vor, „die für Thomas wichtige Gesprächspartner in der Frage der Interpretation der Schriften des Aristoteles sind“ („Geld und Recht in der aristotelischen Tradition des Mittelmeeraums“, S. 505-701, hier S. 507). Allerdings muß der Verfasser bei der Untersuchung der Geldlehren feststellen, daß byzantinischer Einfluß nur mittelbar über Albertus Magnus auf Aquin einwirkte, die Verschmelzung islamischen Geldrechts mit der aristotelischen Lehre lediglich in Thomas’ Bezeichnung des Geldes als instrumentum resultierte und sich ein unmittelbarer Einfluß des Maimonides überhaupt nicht nachweisen läßt.[3] Insofern wäre der interkulturelle Kontext einer Geldlehre vielleicht besser am Beispiel von Albertus Magnus aufzuzeigen gewesen, der sowohl Averroes als auch einen byzantinischen Sammelkommentar zur Nikomachischen Ethik in seiner Geldlehre berücksichtigte (vgl. S. 277). Schließlich widmet sich der Verfasser (5.) der Fortsetzung zu De Regno ad regem Cypri sowie der weiteren Entwicklung der scholastischen Geldlehre. Als bedeutende Vertreter werden dabei Johannes Buridan und Nicolas Oresme sowie die sogenannte Schule von Salamanca angeführt, deren Leistungen v.a. in der „Formulierung einer Quantitätstheorie des Geldes“ und der „Vollendung der scholastischen Zinstheorie“ liegen („Scholastische Geldlehre nach Thomas“, S. 703-727, Zitate S. 726). Die Ergebnisse der Arbeit sind endlich in 30 Thesen zusammengefaßt („Schluß: Ergebnisse im Überblick“, S. 728-733). Abschließend sind zentrale Quellen der Dissertation – vor allem Ausschnitte aus den jeweiligen Ethik- und Politikkommentaren sowie der die Geldlehre betreffende Teil der Fortsetzung zu De Regno – als Textanhänge zusammengestellt (S. 734-759); das Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 760-836) und ein Register (S. 837-843) runden den Band ab.
Die Dissertation Wittrecks beeindruckt vor allem mit ihrer umfassenden Literaturkenntnis und ihrem weiten thematischen und räumlichen Blickfeld. Allerdings ist das Werk durch die starke Gliederung und die vielen, teils längeren lateinischen Zitate nicht immer leicht lesbar, was jedoch nicht zuletzt dem schwierigen Thema geschuldet ist. Detailkritik: Im Rahmen seiner Äußerungen zum Wucherverbot hat Aquin einer niederländischen Fürstin – ob es sich dabei um Aleydis von Brabant oder Margareta von Frankreich handelt, ist umstritten – geraten, daß es nach der Verleihung eines Amtes zulässig sei, aus Dankbarkeit ein Darlehen zu erhalten. Dagegen sei Ämterkauf Wucher. Wittreck bezeichnet die Zahlung aus Dankbarkeit als „weniger realitätsnah“, übersieht dabei allerdings, daß es sich wohl um einen Ratschlag zur Umgehung des Wuchers handeln dürfte (S. 469).[4] Mithin gibt es im Gegensatz zum islamischen Raum zwar keine eigenständige Literaturgattung, die Umgehungsmöglichkeiten des Zinsverbots zusammenstellt (S. 600), aber immerhin doch vereinzelte Hinweise darauf. Aus numismatischer Sicht ist darüber hinaus anzumerken, daß das Unterkapitel über die Geldwirklichkeit im Italien des 13. Jahrhunderts (S. 142f.) allzu knapp ausgefallen ist. Dies ist deshalb bedauerlich, weil der Aquinate seit seiner Geburt 1224/25 bis zum Beginn des Studiums in Paris 1246, d.h. in der Regierungszeit Kaiser Friedrichs II., im Königreich Sizilien lebte und dorthin im weiteren Verlauf seines Lebens mehrfach zurückkehrte. Er dürfte daher besonders mit dem dortigen Geldwesen wohlvertraut gewesen sein. Eine ausführliche Darstellung von Philip Grierson und Lucia Travaini findet sich dazu im MEC 14. Deren Ergebnisse seien hier kurz referiert:
Kaiser Friedrich II. ließ in seinem italienischen Herrschaftsbereich sowohl Gold- als auch Silbermünzen prägen, Taris aus 16 1/3-karätigem Gold und ab 1231 Augustales, die 20 ½ Karat aufwiesen. Während diese Goldmünzen in ihrem Wert stabil blieben, wurden die Denari aus Billon von einem Feingehalt von 25 %, den sie bis 1220 hielten, über mehrere Stufen auf nur noch 2,1 % in den Prägungen ab 1250 abgewertet. Der Tari stieg damit im realen Wert von 23 1/3 Denari (bis 1220) auf 240 Denari (nach 1250). Die Bulle Papst Gregors IX., mit der Friedrich II. exkommuniziert wurde, enthielt somit mit viel Recht den Vorwurf, der Kaiser sei ein Falschmünzer. Grierson und Travaini attestieren gar König Philipp IV. von Frankreich, der als „Falschmünzerkönig“ bekannt ist, in geringerem Ausmaß als Friedrich Geldabwertung betrieben zu haben.[5]
Vor diesem Hintergrund bliebe zu überprüfen, inwieweit die Tatsache, daß Geld „für Thomas ganz eindeutig Silbergeld“ ist (S. 369) und sich die Ansichten Aquins über Geldwertstabilität und die Möglichkeiten des Inhabers der Geldhoheit zu ihrer finanziellen Nutzung somit vornehmlich auf die Silbermünzprägung beziehen, mit seinen negativen Erlebnissen mit eben diesem Silbergeld in Zusammenhang zu bringen sein könnte. Durch den nachweislichen Einbezug realer Erlebnisse in die Geldlehre Aquins entfiele auch das Hauptargument Wittrecks dagegen, daß die von Ptolomäus von Lucca verfaßte Fortsetzung zu De Regno eine nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch stringente Fortsetzung des Werkes von Aquin war (S. 716f.).
Trotz dieser Kritik im Detail kann kein Zweifel daran bestehen, daß dem Verfasser eine grundlegende Arbeit gelungen ist, die zahlreiche Anregungen gibt und sicherlich auch auf lange Sicht zu einem Standardwerk zur scholastischen Geldlehre werden wird – neben den Untersuchungen Odd Langholms, zu deren kritischer Ergänzung, Differenzierung und Korrektur Wittreck hier Vieles beigetragen hat.[6]
Hendrik Mäkeler
- Diese Sichtweise geht allerdings am klarsten aus der von Ptolomäus von Lucca verfaßten Fortsetzung zu De Regno ad regem Cypri hervor. [↩]
- Joel Kaye: Economy and Nature in the Fourteenth Century. Money, Market Exchange, and the Emergence of Scientific Thought (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, 4th Series 35), Cambridge u.a. 1998. [↩]
- Wittreck hat jedoch hervorgehoben, daß Aquin in seiner Summa Theologiae das Zinsverbot auch unabhängig von seinem sonstigen Konzept der „Verletzung der Gerechtigkeit“ unter dem Gesichtspunkt der Nächstenliebe behandelt hat, was den Einfluß der jüdischen Zinslehre erkennen lasse (S. 483). [↩]
- Diese Interpretation bei Gerhard Rösch: Wucher in Deutschland 1200-1350. Überlegungen zur Normdidaxe und Normrezeption, in: Historische Zeitschrift 259 (1994), S. 593-636, hier S. 621. [↩]
- Philip Grierson und Lucia Travaini: Medieval European Coinage. With a Catalogue of the Coins in the Fitzwilliam Museum, Cambridge, Bd. 14: Italy (III) (South Italy, Sicily, Sardinia), Cambridge u.a. 1998. Vgl. zu Friedrich II. S. 155-183. [↩]
- Vgl. Odd Langholm: Price and Value in the Aristotelian Tradition, Bergen 1979; Ders.: Wealth and Money in the Aristotelian Tradition, Bergen 1983; Ders.: The Aristotelian Analysis of Usury, Bergen 1984; Ders.: Economics in the Medieval Schools. Wealth, Exchange, Value, Money and Usury according to the Paris Theological Tradition 1200–1350 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters, 29), Leiden 1992; Ders.: The Legacy of Scholasticism in Economic Thought. Antecedents of Choice and Power (Historical Perspectives on Modern Economics), Cambridge u.a. 1998. [↩]